Am 3. Januar beginnt für mich das siebentägige Rouhatsu Sesshin in Bremen. Darauf freue ich mich sehr.
Ein Sesshin ist ein Retreat im Zen.

Gespräche über Buddhismus- Teil 4: Auf ins Sesshin
Die Künstlerin Frida Adriana Martins hat mich nach meiner Praxis der Zen-Meditation und zum Hintergrund im Buddhismus befragt. Von ihr stammen auch die Illustrationen zu dieser Serie.
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Weil Frida nicht recht wusste, was ein Sesshin ist, hat sie mich gebeten, etwas mehr darüber zu erzählen.

Was ist ein Retreat in dem Fall?

Sesshin sind Tage intensiver Meditation. Wie bei christlichen Retreats, zieht man sich für einige Tage zurück, um sich den Großteil des Tages dem Zazen zu widmen. Sesshin sind meist ein Wochenende oder ein verlängertes Wochenende, das Rouhatsu Sesshin geht 7 Tage. Die Gestaltung variiert je nach Tradition und Lehrer. Ich selbst praktiziere in der Rinzai-Tradition und habe unsere eigene Praxis vor Augen.Es tritt einer aus dem Felsspalt in die Weite, reckt freudig die Arme gen Himmel
Der Tag ist, wie in einem Zenkloster, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen durchstrukturiert. Morgens und abends werden Sutren rezitiert, die viel Power haben und helfen, den Kopf frei zu kriegen. Das Verhalten in der Zendo verläuft in rituell festgelegten Formen, um möglichst große Klarheit und Ruhe in den Ablauf zu bekommen. 
Die Sitzperioden (Zazen) werden durch Gehmeditation (Kinhin) und einfache Teezeremonien unterbrochen. Dreimal am Tag trifft man den Lehrer für eine kurze Begegnung unter vier Augen (Dokusan). Täglich hält er außerdem einen Vortrag. Daneben gibt es Phasen der praktischen Arbeit in Haus und Garten, für die dieselbe Haltung der Aufmerksamkeit gilt. So übt man die Fortführung ins alltägliche Tun, was ja letztendlich das ist, was man anstrebt. In manchen Sesshin, so wie bei uns diesmal, werden auch die Malzeiten in der Zendo eingenommen.
Der Tag wird, bis auf nötige Absprachen, im Schweigen verbracht. Es redet normalerweise nur der Lehrer, der die Gruppe begleitet, oder der, der von ihm mit einer Aufgabe beauftragt ist, die das erfordert. Man sagt man nur das Nötigste. So lenkt man sich nicht gegenseitig ab. In der Praxis geht es jedoch nicht so streng zu und es wird auch öfter mal gelacht. Die oberste Regel der Zendo heißt aber: Die anderen nicht unnötig stören.
Obwohl man nicht miteinander spricht und oft kaum etwas voneinander weiß, entsteht gerade durch das Schweigen eine wundersame Verbundenheit unter den Teilnehmern. Das japanische Wort Sesshin heißt so was wie Herz zu Herz oder Berührung des Herzens. Es besteht aus den Schriftzeichen für „Kontakt, Berührung“ und für „Herz, Geist“. In der Kombination bedeuten sie auch „Konzentration“, wobei gerade nicht bemühte Anstrengung gemeint ist, sondern entspannte Aufmerksamkeit.

Gibt es irgendwelche organisierten Möglichkeiten, das Retreat vorzubereiten, z.B. mit einem geistlichen Leader?

Auf Zen-Treffen, auch Sesshins, bereitet man sich nicht vor, man kommt einfach. Das ist nicht Nachlässigkeit, sondern Teil des Zen. 
Ich bereite mich vor, indem ich den Lehrer anschreibe und bitte, kommen zu dürfen. Indem ich die Fahrt dorthin buche. Indem ich meine Sachen, die ich mitnehmen muss, ordentlich zusammen packe. Es passiert allein dadurch, dass ich das tue, schon einiges in mir, ohne dass ich dafür etwas zusätzlich tun muss.
Zen bedeutet, immer im Jetzt zu leben. Im Alltag, nicht nur im Sesshin oder wenn man sich zum Zazen trifft. Das gelingt nicht immer und ganz sicher nicht von Anfang an. 
Vorbereiten auf ein Sesshin heißt: Ich weiß, wann und wo es stattfindet, was ich mitbringen muss (Schlafsack,…), dass es da einen festen Rahmen gibt und ziemlich viel meditiert wird. Es geht drum, sich auf das einzulassen, was im Sesshin passiert. Auf den ersten Blick ist das die äußere Ordnung, auf die ich mich einlasse. Eigentlich geht auf tieferer Ebene es aber darum, sich auf sich selbst einzulassen. Sich drauf einzulassen, die Tage des Sesshin, obwohl andere auch mit im Sesshin sind, ganz mit sich selbst zu verbringen. Ein Lehrer kann einem dabei helfen, tun muss man es selbst.
Natürlich sollte mich der Lehrer, der das Sesshin leitet, entweder kennen oder ich mit ihm vorher mal sprechen, denn der ist für die ganze Sache verantwortlich. Er muss aber auch nur wissen, dass mir der Rahmen klar ist, in dem das stattfindet. Der macht es nämlich genauso – aber kann es eben besser: Er reagiert genau auf das, was sich in dem Moment zeigt. 
Er spürt, was da ist, behält alles im Blick, begleitet einen und bringt einen immer wieder auf den Weg. Als Teilnehmer braucht man sich nur hineinfallen lassen in die äußere Ordnung und merken, was mit einem passiert. 
Bevor ich das erste Mal eine Zendo betreten habe, hat der Lehrer es in der Email auf den Punkt gebracht: „Erwarte nichts.“

Kosten solche Retreat-Orte was und wie finanzieren sie sich?

Sie finden in Tagungshäusern statt oder in Räumen, die einer Zengruppe auch sonst als Treffpunkt dienen. Die Unkosten müssen natürlich gedeckt sein. Man bezahlt, wie bei jedem anderen Seminar, für Unterkunft und Verpflegung, in einem externen Tagungshaus ist das natürlich mehr als wenn wir mit Schlafsack in der Zendo schlafen. 
Daneben bekommt der Lehrer, der das Sesshin macht, oft einen Beitrag. Manche Lehrer nehmen jedoch nichts für sich selbst, weil sie ihren Lebensunterhalt anderswo verdienen und möglichst allen die Teilnahme ermöglichen wollen. 
Es ist darüber hinaus üblich, entsprechend den eigenen Möglichkeiten dem Lehrer einen freiwilligen Beitrag (Dana) zukommen zu lassen. Er dient vor allem dazu, ihn darin zu unterstützen, dass er das, was er für einen tut, weiterhin machen kann. Sonst zahlt der nämlich aufs Ganze dauernd drauf oder kann sich die Zeit nicht nehmen. Wenn jemand mir etwas gutes tut, ist es ganz natürlich, dass ich dazu beitragen will, dass andere das auch bekommen. 

Was bedeutet es für Dich, wenn du ins Sesshin gehst?

Man weiß vorher nie, was einen erwartet. Auch wenn man mit den Gebräuchen und dem äußeren Rahmen vertraut ist, geht jeder einen eigenen Weg durch diese Tage. So hat jeder Teilnehmer sein ganz eigenes Sesshin.
Es tun einem anfangs meist ganz schön die Beine weh, wenn man so viel still auf einem Kissen sitzt. Das geht eigentlich allen so, vor allem, wer es nicht gewöhnt ist. Es gehört zum auch Üben dazu, dass man sich seinen körperlichen Voraussetzungen stellt. Man muss aber nicht auf einem Kissen sitzen, wenn man Schwierigkeiten hat, man kann genauso auf einem Stuhl sitzen. Ich finde es aber bequemer und fühle mich oben auf dem Stuhl beim langen Sesshin nicht entspannt, weil man runter fallen kann, falls man einschläft, auf dem Kissen kann einem nichts passieren.
Ich kannte Retreats verschiedener Ausprägung aus dem christlichen Bereich. Aber als ich das erste Mal in einem Sesshin war, habe ich mich das erste Mal (seit ich mich erinnern konnte) normal gefühlt. Es hat zu meinem Zustand gepasst und war ganz ohne Ideologie. 
Obwohl vieles für mich fremd war und ich die meisten der Sutren, die wir in Sino-Japanisch (japanisch ausgesprochene chinesische Worte) rezitieren, noch nie vorher gehört hatte. Da hatte ich ganz schön zu tun, mich zurecht zu finden und alles aufzunehmen. 
Vor allem die Sesshin haben mir geholfen, Zen zu erleben und kennen zu lernen. Für mich war jedes bisher ein positives Erlebnis, und danach war ich viel entspannter. 
Ganz besonders das Rouhatsu. Ich konnte spüren, dass die Lehrer aufpassen, dass man nicht nur gut rein, sondern auch gut wieder raus und zurück in den Alltag kommt. Das hat mir gut getan, weil vorher viele Jahre ich allein klarkommen musste, niemand mehr da war, der erfahrener war als ich und ich auch nicht wusste, wo ich noch hingehen kann. 
Und ich habe im Rouhatsu Sesshin angefangen zu merken, was Dokusan (Gespräch mit dem Lehrer) überhaupt ist. Die Begegnung soll unmittelbar, spontan und ungekünstelt sein.
Für mich ist es unfassbar, dass es so was wie Zen gibt. Dass es so eine Möglichkeit gibt. Es ist für mich, wie aus einer langen, engen Felsspalte in die Weite zu treten.
Jedes Sesshin war anders. 
Ich habe von anderen gehört, dass sie vorher etwas Angst haben vor so langen Sesshin. Für manche ist es auch ungewohnt, sich dem eigenen Dasein zu stellen. Ich selbst bin einfach froh, wenn ein erfahrener Lehrer da ist. Das war für mich eben nicht immer so. Es ist nach einem Jahr Abwesenheit von der Zendo, während der ich nur für mich allein jeden Tag Zazen geübt habe, das erste Mal, dass ich wieder mit anderen gemeinsam und mit einem Lehrer üben darf. Für mich ist das ein großes Geschenk. 
Nächste Woche bin ich dann gerade vom Rouhatsu Sesshin zurück. Da werde ich Euch ein paar Eindrücke geben.
Lest hier auch die früheren Beiträge der Serie:
Teil 1: Der Buddha im Advent
Teil 2:
„Wie kamst du zur Zen-Meditation?“