Gespräche über Buddhismus – Teil 2 : „Wie kamst du zur Zen-Meditation?“
Lies auch Teil 1: Der Buddha im Advent
Die Künstlerin Frida Adriana Martins hat mich nach meiner Praxis der Zen-Meditation und zum Hintergrund im Buddhismus befragt. Von ihr stammen auch die Illustrationen zu dieser Serie.
Frida nutzt die Weihnachtszeit gerne dazu, bewusster wahrzunehmen, was sie und die Menschen in ihrem Umfeld eigentlich glauben und wie sich das auf ihre persönliche Geschichte und ihr Alltagsleben auswirkt. So kam sie auf die Idee, zu Weihnachten zu fragen, wie ich zum Zen gekommen bin.
Wie bist du zum Buddhismus gekommen und woher hast du gewusst welche „Ausrichtung“ da für dich richtig ist?
Ich bin gar nicht zum Buddhismus gekommen. Zen war zuerst da, dann kam die Frage, was das mit Buddhismus zu tun hat.
Zen ist gegenstandslose Meditation. „Meditiert“ für mich allein habe ich das erste Mal mit 14 Jahren. Unsere Pfarrerin im Konfirmandenunterricht war in Indien gewesen und hat schon damals einfache Formen von Meditation in ihren Unterricht eingebaut. Da bin ich zuerst damit in Kontakt gekommen. Ich habe mich ruhig hingesetzt, die Augen zugemacht und nach „innen“ geschaut. Es war nichts irgendwie Kompliziertes oder gezielt mit irgendeiner Technik.
Jeder macht so was „irgendwie“, ohne es so zu nennen. Bei mir war das aber da schon etwas, was ich bewusst tue. Ich erinnere mich, dass ich in der 8. Klasse um die Ecke von einem Klassenzimmer saß, als wir auf den Religionslehrer mit dem Schlüssel gewartet haben, und als er kam, mich gefragt hat, ob ich meditiere. Zumindest habe ich es versucht.
Dann habe ich auf dem Flohmarkt von Hugo Lassalle das kleine Büchlein „Zen – Weg zur Erleuchtung“ gefunden. Das war meine erste Begegnung mit Zen.
Ich habe das allein ausprobiert. Mich einfach hingesetzt und versucht, nichts zu tun. Und geschaut, was passiert. Es war nicht so sehr aufregend erst mal, und ich habe das auch nicht irgendwie regelmäßig gemacht. Von Zenmeistern in Deutschland, die es da schon gab, wusste ich nichts. Ich war ein Teenager in einem bayerischen Dorf. Im Internet gab es damals noch nicht viel zu lesen…
Als ich es ein paar Jahre später nochmal las, fiel mir auf, dass in der Zen-Sprache von „Leere“ die Rede ist, wo in der christlichen Sprache von der „Fülle Gottes“ gesprochen wird. Die These, dass das kein Zufall ist, wurde danach nie widerlegt.
Ich bin dann einen christlichen Weg gegangen, aber Meditation hat immer eine Rolle gespielt. Ich war mit 18 das erste Mal in Taizé, habe die die Kraft der Stille kennengelernt. Später dann mit Jesuiten auf Schweigeexerzitien. Als man versucht hat, mir das Jesusgebet, wo man mit jedem Atemzug den Namen Jesu wiederholt, beizubringen, habe ich immer die Worte vergessen und schließlich beschlossen, dass ich sie nicht brauche. Was dann übrigbleibt, ist eigentlich schon Zazen, Zen-Meditation.
Das heisst, man kann sich Zazen als eine Art Hingabe oder Beten ohne Worte vorstellen?
Mit „Beten“ verbinde ich, dass man sich an jemanden wendet, der das Gebet hört. Beim Zazen ist da aber kein Gegenüber, auf das man sich ausrichtet. Es ist dieselbe Art von konzentrierter Aufmerksamkeit, aber dann lässt man alles weg, auch das Ausgerichtetsein auf etwas. Wir lassen alles fallen, was uns hindern könnte, der Wirklichkeit selbst zu begegnen. Werden leer, damit der Wirklichkeit nichts im Weg ist.
Beim Wort „Hingabe“ gibt es zwei Nuancen: Man gibt sich jemandem hin – auch das setzt ein Gegenüber voraus. Im Zen stellen wir uns niemanden vor, sondern da ist einfach die Wirklichkeit selbst. Wir nehmen uns als Teil davon wahr. „Hingabe“ kann aber auch heißen, man gibt sich einer Tätigkeit hin. Das kommt dem näher. Ganz in einer Tätigkeit aufgehen. Wie im selbstvergessene Spiel eines Kindes. Das wird im Zen geübt, wenn man einfache Arbeiten in Haus und Garten ausführt oder wenn man Sutren rezitiert oder Meditation im Gehen (Kinhin) übt.
Beim Zazen ist dann auch noch das Tun von etwas weg. Die Anspannung lässt immer mehr nach. Man sitzt und folgt dem Atem. Lässt die Gedanken, die kommen, einfach weiterziehen, ohne sie festzuhalten. Wie Wolken am Himmel, die vorüberziehen.
Auch christliche Mystiker sprechen davon, dass sie beim Beten in Gott aufgehen. Allerdings gehen wenige der Mystiker so weit, dass sie über die kirchlichen Vorstellungen von Gott hinaus gelangen. Wer sich von dieser Seite her annähern möchte, dem empfehle ich den großen christlichen Mystiker Meister Eckhart aus dem 13./14. Jahrhundert. Das ist freilich auch nicht ganz einfach zu verstehen… es liegt in der Natur der Sache, dass man es nur durch Erfahrung erfassen kann. Darin sind sich auch Zen und Meister Eckart einig.
Wie ging es dann weiter?
Irgendwann war ich durch mit der christlichen Welt. Da gab es – spirituell gesehen – nichts mehr wirklich Neues zu erforschen. Außerdem habe ich Erfahrungen gemacht, die ich nicht verstand und für die ich keine Ansprechpartner hatte.
Im Sommer 2015 machte sich meine Faszination für die Schönheit der vom Zen geprägten Künste, vor allem Tuschmalerei, Kalligraphie und Architektur, wieder bemerkbar. Zu der Zeit übte ich aber kein Zazen.
Ich war mit der Meditation auf einer Art Plateau angekommen. Wenn ich mich dafür hinsetzte, passierte nichts, was ich nicht auch konnte, wenn ich mich einfach aufs Bett fleezte, also tat ich es auch nicht. Tiefer rein kam ich nicht. Als ich es im Herbst 2015 dann wieder einmal versuchte, ging es sehr leicht und war anders als bisher. Es tauchten innere Bilder auf, die mit der Überwindung von Angst zu tun hatten, so was wie: Ich bin in einer Höhle, wo die Felsen sich zusammenschieben und plötzlich sitze ich auf dem Gipfel des Berges. Das war neu. Ich beschloss dann, eine Gruppe zu suchen, um bei der Stange zu bleiben und habe gegooglet. Dabei fand ich einen Zenmeister in unserer Stadt, der Zen-Meditation anbot.
Aber da warst du noch in der Kirche…
Da war ich noch ganz in der Kirche involviert. Und auch in die christliche Gedankenwelt. Ich bin am Sonntag in die Kirche gegangen und manchmal auch unter der Woche. Da gab es für mich Gott auch noch. Heute nenne ich das die christliche Käseglocke. Es klingt absurd, aber die ist gesprungen, als ich „in echt“ mit Zen in Berührung kam.
Die Verbindung, die von früher zur Zen-Welt bestand, wurde für mich zur Brücke. Ich merkte, dass ich auf dieser schmalen Brücke auf der „falschen“ Seite stand. Das geschah in einem Augenblick. Ich war völlig verblüfft.
Da hatte ich mit dem Zenmeister bei uns in der Stadt auf facebook gechattet. Ich hatte gar keine Ahnung, was ein Zenmeister sein soll. Ich habe aber gemerkt, dass der einfach souverän war bei Aussagen über Spiritualität, wo die meisten anfangen, sich zu rechtfertigen. „Für mich gibt es keinen Widerspruch zwischen westlicher und östlicher Spiritualität“ und „Ich gehe am Sonntag in die Kirche“ – auf eines davon reagiert sonst so gut wie jeder. Aber er sagte nur: „Komm einfach.“
Da wusste ich, dass ich diesen Menschen treffen wollte. Mir schwante da schon, dass ich dort die Lösung meiner Fragen – die ich gar nicht als Fragen formulieren konnte – finden würde. So war es dann auch.
Als mir – nach etwas Internet-Recherche – klar zu werden begann, was es mit dieser „Meisterschaft“ im Zen überhaupt auf sich hatte, öffnete sich die Brücke. Sie hatte die ganze Zeit bestanden und unmerklich Verbindungen und Kenntnisse angesammelt.
Wie gehst du heute mit Gegenständen oder Personen um, die „Erleuchtung“ versprechen?
Gar nicht. Praktisch gesehen. Es ist hirnrissige Kacke, derartige Versprechungen zu machen. Ich werde ziemlich schnell merken, sobald jemand den Mund aufmacht, wenn derjenige nicht weiß, wovon er spricht.
Wir versprechen jedenfalls gar nichts. Zen wird zwar oft als „der direkte Weg“ bezeichnet, weil man eben quasi ohne Vorübungen gerade darauf zu Zazen übt. Aber da ist die Rede von zehn Jahren, fünfzehn Jahren oder mehr, die man braucht. Das ist sehr nüchtern. Tatsächlich treten positive Wirkungen wie eine bessere Selbstwahrnehmung allerdings bereits sehr bald ein.
Es gibt besondere Erlebnisse, wenn die Wirklichkeit plötzlich ganz unmittelbar ist. Das ist wunderbar und motiviert weiter zu machen. Aber es gibt darauf kein Anrecht. Und wer ständig dran denkt, dass er so was wieder haben will, blockiert sich selbst damit, dass es erneut passiert. Das geschieht nur, wenn man die Gedanken und Vorstellungen loslässt, so dass sie sich nicht „einmischen“ und dazwischen schieben.
Letztendlich geht es um den Prozess, dass immer mehr im Alltag ankommt und sich dort auswirkt. Man teilt die Welt nicht mehr dauernd in „schwarz“ und „weiß“, richtig und falsch ein. Kann Zusammenhänge sehen, die auf der tieferen Ebene liegen, der unserer Wahrnehmung und unseres Geistes, und sehr viel einfacher sind, deshalb ist man gelassener und klarer. Man bewertet nicht mehr permanent das, was man erlebt. Ärgert sich deshalb nicht dauernd. Hat weniger Angst, denkt und handelt deshalb auch direkter und unkomplizierter. Steht sich nicht mehr so oft selbst im Weg.
Die Unmittelbarkeit der Erfahrung immer mehr zu verwirklichen, ist, worum es eigentlich geht. Oft wird aber eine einzelne Erfahrung damit verwechselt. Um das besondere Erlebnis – eine Peak Experience, die es zweifelsohne geben kann – wird manchmal ein großes Geschrei gemacht. Ein guter Lehrer holt dich auch wieder runter. Er hilft dir, von da weiter zu gehen. Ein Zenmeister ist erst ausgebildet, wenn er selbst sieht, was los ist, und keine großspurigen egozentrischen Auftritte mehr braucht.
Von manchen selbsternannten Gurus werden irgendwelche Erfahrungen angepriesen wie Popcorn. Ich sage nicht, es ist nie was dahinter. Aber lass dir nicht „Erleuchtung“ aus der Tube versprechen.
Es gab und gibt Menschen, wo ein Erlebnis eine entscheidende Lebenswende bewirkt hat. Nur ist das einerseits nicht einfach reproduzierbar, und andererseits ist zwar das Erlebnis, aber nicht alle Wirkungen mit einem Schlag da. Die kommen über die Jahre mehr und mehr zur Geltung und sortieren sich immer wieder neu.
Das kann auch ohne ein einziges, völlig umwerfendes Lebensereignis geschehen.
Einer meiner Lieblingsfilme beginnt damit, dass ein Pfarrer traurig erzählt, dass die Leute reihenweise aus der Kirche austreten. Dich habe ich ja ursprünglich als Theologiestudentin kennen gelernt. Was hat der Buddhismus (für dich und andere), was die Kirche nicht hat?
Es geht nicht drum, ob Buddhismus oder Kirche besser ist. Ob ich tibetische Gebetsmühlen drehe oder vor der Madonna eine Kerze anzünde, ist relativ gleich. Ich habe auch kein Problem damit, wenn jemand der Kirche angehört oder ein Kopftuch trägt oder einen Shinto-Schrein besucht. Wenn man seine Zeit damit verbringt, über andere Menschen herzuziehen und sie zu degradieren, hat man den Kern der buddhistischen Lehre nicht verstanden. Jemand sollte nur nicht von mir verlangen, alles so zu machen, wie er selbst, und nicht anderen mit seinen Ansichten Schaden zufügen.
Ich kann manche der Erfahrungen, die der Gründer des „Buddhismus“ mit Zazen gemacht hat, bestätigen. Das macht mich zum „Buddhisten“. Mehr nicht.
Ich hatte nie vor, die Kirche zu verlassen. Das Gegenüber von Gott und Mensch ist die Grundlage für die monotheistischen Religionen. Bei mir ist dieser Dualismus zusammengebrochen und „Gott“ hat sich in nichts aufgelöst. Dann bin ich aus der Kirche ausgetreten.
Es gab infolgedessen eine Implosion der christlichen Gedankenwelt und der ethischen und gesellschaftlichen Vorstellungen. Es fiel eins nach dem anderen wie ein Parcours aus Dominosteinen.
Durch Meditation erkennt man mehr und mehr den eigenen Geist; wie wir unsere Welt konstruieren, wo unsere Ängste und unsere Unzufriedenheit herkommen, was uns hindert, der Wirklichkeit unmittelbar zu begegnen und sie ohne begrenzenden Filter zu erleben.
Zen ist eine geradezu unverschämte Zumutung. Wir sagen: Man erkennt den menschlichen Geist nur durch Erfahrung jenseits der Worte. Man erforscht ihn dadurch, dass man nichts tut. Das widerspricht unserer Kultur, ständig neues anzukurbeln, alles tot zu diskutieren und rum zu rennen, um nach Erlebnissen zu suchen. Wir glauben notorisch an die Wahrheit von Worten. Es geht im Zen darum, Worte und Konzepte hinter sich zu lassen.
Gibt es irgendwelche „Gebrauchsanweisungen“ für Neulinge im Buddhismus? An wen kannst du dich wenden wenn du Fragen auf deiner spirituellen Reise hast?
Meine Gebrauchsanweisung:
- Glaube nicht alles, was man dir erzählt.
- Glaube noch weniger alles, was man dir über Buddhismus erzählt. Die meisten Buddhisten haben bestenfalls so viel Ahnung davon, worum es geht, wie ein Durchschnittsdeutscher vom Christentum.
- Suche die Praxis. Lehre ohne Praxis ist tot.
- Wenn du Fragen hast, die nicht kultureller, sondern spiritueller Art sind, lies keine Religionskunde aus einem Schulbuch, sondern suche einen anerkannten Lehrer oder jemanden, der für dich authentisch ist und regelmäßig praktiziert.
- Lasse dich auf die Fremdheit ein, ohne zu bewerten.
- Schau dir den Lehrer und die Vorgehensweise an. Spüre ob es ein guter Ort für dich ist. Wenn du kein gutes Gefühl hast – geh.
- Glaube nicht an Buddhismus. Mach deine eigenen Erfahrungen.
Dein Weihnachtsbuddha Nächste Woche geht’s weiter!
Im Teil 3 bleiben wir festlich…
Lies auch Teil 1: Der Buddha im Advent
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