Gespräche über Buddhismus – Teil 3: Das tägliche Leben als Fest
Hier geht’s zu Teil 1: Der Buddha im Advent
Die Künstlerin Frida Adriana Martins hat mich nach meiner Praxis der Zen-Meditation und zum Hintergrund im Buddhismus befragt. Von ihr stammen auch die Illustrationen zu dieser Serie. Im dritten Teil fragt sie nach Festen und Ritualen.

 

Gibt es irgendwelche Gebräuche im Zen/Buddhismus, die dir bei deinem Eintritt völlig neu waren?

Alles war neu. Ich hatte nie zuvor eine Zendo (Übungsraum) betreten. Ich habe alles neu gelernt, die ritualisierte Ordnung, die Rezitationstexte, die japanischen Bezeichnungen, die Vorgehensweise. Ich kannte auch die Vokabeln aus dem Buddhismus nicht. Ich habe mich gefühlt, als ob ich eines Morgens in einem abgelegenen chinesischen Bergdorf aufgewacht wäre.

Es hatte den Vorteil, dass ich alles unvoreingenommen aufnehmen konnte, ohne Hindernisse, die sich aus früheren Erfahrungen speisen. Auch ohne Idealbilder und feste Vorstellungen, worum es geht. Ich wusste zwar, was ich in dem Moment da auf dem Kissen tue, aber hatte keine höheren Ziele. Den Sinn der „Gebräuche“ lernte ich durch gebrauchen, durch mitmachen, ausprobieren wie es ist, was mit mir dabei passiert.

Das gilt nicht nur für die Gebräuche. Ich kannte auch die Ikonographie nicht, und keine der klassischen Texte.Blumenförmige Laternen schweben in den Himmel
In der christlichen Welt hatte ich für Buddhas keine Verwendung gehabt. Also kannte ich zwar Buddhismus aus der Religionskunde und von einem Begegnungs-Seminar von der Uni früher in Erlangen aus, wo wir buddhistische Gruppen besucht haben. Esoterische Vorstellungen oder irgendwelche Wellness-Trends waren das andererseits auch nicht. Aber ich hatte gar keinen Bezug zu einer Buddhafigur oder sonstigen Darstellungen. Überhaupt hatte ich buddhistische Lehre nur abstrakt durch einen christlichen Filter kennengelernt.
Trotzdem war für mich erkennbar, dass einer Teil dessen, was irgendwo in Foren oder Gruppen im Internet steht, von Leuten stammt, die selber nicht viel verstehen. Als ich begann, die buddhistische Sprache zu lernen, lernte ich sie von Leuten, die sie korrekt gebrauchen, weil sie verstehen, worum es geht.

Trotzdem bleiben mir viele Gebräuche im Buddhismus fremd, selbst wenn ich sie nachvollziehen kann. Zen hat zwar eine Menge Rituale, aber die haben praktische Bedeutung: Durch feste Abläufe bekommt man Ruhe in die Zendo und kann darauf verzichten, sich überflüssig Gedanken zu machen.


Wie „wird“ man Buddhist?

Gar nicht.

Ich habe bis jetzt nichts dafür getan außer Zazen geübt, zugehört und buddhistische Sprache gelernt. Auch nicht versucht, Buddhist zu werden. Was offensichtlich ist, kann ich gar nicht ablehnen. Ich plappere keine buddhistische Lehre nach, sondern verstehe einfach immer mehr, was gemeint ist damit. Dabei werde ich halt quasi nebenbei „Buddhist“.

Es gibt auch einen Buddhismus aus Glauben. Das ist Religion. Man übernimmt Aussagen, Rituale, Traditionen usw., weil man es von der Familie übernimmt oder weil man an etwas glaubt, was andere einem beibringen und was man haben will: „Erleuchtung“, Leidfreiheit oder eine bessere Wiedergeburt. Das hat eine Berechtigung als Motivation, aber auch dieselben Schwierigkeiten wie jeder andere Volksglauben auch.

Was hast du letztendlich davon, wenn du glaubst, dass es möglich ist, Leidensfreiheit zu erreichen, wenn es dir selbst keine Veränderung bringt?

Bei uns im Westen werden manche Leute Buddhisten, weil sie nach einem Ausweg aus dem Leiden suchen. Andere sind aber einfach unzufrieden und auf der Suche nach „Sinn“ und fühlen sich schließlich am ehesten buddhistisch. Manche verirren sich in esoterischem Schnickschnack und geraten dabei über Meditation oder Wiedergeburtsglauben auch an irgendwas Buddhistisches. Ein Bisschen schick sind Buddhaköpfe im Spa ja auch schon seit Jahrzehnten. Oder es geht Leuten um ganz was Anderes, z.B. Meditation, um ruhiger zu werden oder den Alltag besser zu managen. Die Motivationen sind vielfältig. Die Vorstellungen davon, was „buddhistisch“ ist, sind es auch.

Ich spreche sonst nicht viel über Buddhismus. Ich rede mit den Leuten über die Dinge, die ihnen gerade wichtig sind. Ob ein Bild oder eine Geschichte für irgendwen „buddhistisch“ ist oder nicht, ist für mich nicht entscheidend. Es genügt für mich völlig, meine Perspektive einzubringen, um alles wichtige zu sagen. Alles ist „buddhistisch“.


Gibt es so eine Art Taufritual, und warum oder warum nicht?

Es gibt die Zufluchtnahme zu Buddha, Dharma (Lehre) und Sangha (Gemeinschaft der Praktizierenden). Die kann man immer aussprechen, und man wird früher oder später dieses Bedürfnis entwickeln.

Das kann man auch in einer öffentlichen Zeremonie machen. Und Leute, die letztlich ein christliches Modell im Hinterkopf haben, ohne das selbst zu bemerken, meinen des öfteren, genau dadurch und erst dadurch wird man zum Buddhisten.

Etwas wie ein Taufritual kann es im Buddhismus nicht geben, weil im Christentum die Taufe die Annahme der Erlösung durch Jesus Christus ist. Der alte Mensch stirbt, der neue Mensch lebt „in Christus“. Was immer das heißt… es ist jedenfalls ein einmaliger Akt mit sakramentalem, d.h. selbstwirksamem Charakter. In anderen Worten: Nach christlichem Verständnis findet im Augenblick der Taufe eine Veränderung statt, ob du was davon merkst oder nicht.
Als ich getauft wurde, war ich vierzehn. Ich habe mich nachher nicht irgendwie grundlegend anders gefühlt. Praktisch gesehen ist das viel später als Bezugspunkt wichtig gewesen, als ich begann, den Sinn der Taufe zu begreifen.

Im Buddhismus bedeutet Erlöstsein, dass man nicht mehr an der Vergänglichkeit des Lebens leidet. Zumindest im Zen gibt es Erlösung nicht als Glaubensakt oder Zusage von außen. Wie erlöst du bist, merkst du daran, wie du in die Welt schaust, wie du reagierst oder nicht reagierst, wie du Dinge erlebst. Da ist nichts Überirdisches dabei.

„Zuflucht“ heißt, sich darauf ausrichten; denen Glauben schenken, dass es sich lohnt, die mehr davon erfahren haben als ich. Oder eben dann auch selbst bezeugen, wie es sich verhält. Das ist nichts, was man einmal macht und dann nicht wieder. Eine öffentliche Zeremonie kann das nur unterstützen.

Nichts desto trotz verstehen viele Buddhisten diese Zeremonie parallel zur Taufe. Für sie ist es ein unabdingbares Eintrittsritual und man wird so und nur dann Buddhist. So wird das mancherorts dann auch gehandhabt: „Du bist Buddhist“ – „Du bist kein Buddhist“. Das erfüllt die religiösen Bedürfnisse nach lebensgeschichtlich verankerten Ritualen und nach Sicherheit, Identität und Abgrenzung. Es hat nicht eigentlich mit Buddhismus zu tun. Schon gar nicht mit Zen. Wenn jemals ein Zenlehrer dir so kommt – geh woanders hin.

Gibt es bei den Buddhisten auch irgend ein Fest wo man (pauschal) Geschenke gibt und bekommt und was ist der tiefere Sinn dahinter?
Es gibt keinen Anlass für so ein Fest.
Obwohl bei Festen sicher auch geschenkt wird. Über Festgewohnheiten der verschiedenen Traditionen weiß ich nicht viel.

Schenken als Teilen oder Spenden generell spielt eine große Rolle im Buddhismus: Einerseits gibt man aus Mitgefühl. Andererseits um sich daran zu beteiligen, dass die buddhistische Gemeinschaft sich entfalten und die Lehre weiter geben kann.

Geben hilft, loslassen zu lernen und sich mit anderen zu verbinden. Na ja, und natürlich gilt es deshalb als Mittel, sein Karma zu verbessern. Aber wer so was wie „Karma verbessern“ zum Grund braucht, um etwas raus zu rücken, ist schon ganz schön in sich selbst vernarrt. Karma sind Dinge, an denen man festhält, weil sie unbewusst eingeübt oder nicht zu Ende gebracht sind. Es gibt keine mysteriöse Karma-Sparbüchse, wo man Unglück und Wohlergehen anhäuft. Wer sich mit allen verbunden weiß, möchte das Wohlergehen des anderen. Das ist für mich der bessere Grund, um zu teilen und dafür das rechte Maß zu finden, anstatt auf abstrakt-religiöse Begründungen zurück zu greifen.

Im Zen sieht man ohnehin die Dinge um einiges nüchterner.

Was ist der Unterschied zwischen Buddhismus und Shintoismus?
Shinto ist eine japanische Religionsform. Sie hat sich aus vorbuddhistischen Vorstellungen weiter entwickelt. An Shinto-Schreinen wendet man sich an Kami, die eine Art Machtzentrum repräsentieren. Schreine oder Torii, das sind diese großen Tore, die den Eintritt in den übernatürlichen Bereich markieren, stehen oft an besonderen Orten in der Natur.

Oft vermischen sich in Japan „Buddhalehre“ und Shinto, und die meisten Japaner empfinden sich als beidem zugehörig: Konkrete Wünsche und Bitten, z.B. um gute Noten, richtet man an die Kami. Bei Beerdigungen wendet man sich aber an den buddhistischen Tempel, denn die Kami sollen nicht mit Krankheit und Tod in Berührung kommen, sich nicht verunreinigen oder gestört werden. Für all diese Dinge ist der Buddhismus zuständig.

Es ist etwas ganz eigenes da in Japan. Man kann es nachvollziehen, aber wir in Deutschland übernehmen das so nicht.


Kann in eine buddhistische Versammlung jeder rein, der will? Gibt es so etwas wie eine Eignungsprüfung oder ein Initiationsritual?

Erstmal kann jeder rein, der sich an die Spielregeln hält, und ist herzlich willkommen.

Natürlich hat das Grenzen. Nicht alles ist für jeden zugänglich, das versteht sich aber jeweils aus praktischen Gründen. Beispielsweise dürfen thailändische Mönche keine Frauen berühren. Auch hier gilt: Es gibt nicht „den Buddhismus“.

Ein Initiationsritual gibt es auf irgendeine Weise natürlich bei einem Klostereintritt, das macht ja auch niemand mal eben so. Kommt man aber in eine buddhistische Gruppe von Laien, wird gewöhnlich außer ordentlichem Benehmen gar nichts vorausgesetzt oder erwartet. Bei uns in Europa gewöhnlich auch nicht groß Vorkenntnisse.

Es gibt, wie gesagt, für Laien das Ritual der öffentliche Zufluchtnahme, das je nach Tradition unterschiedlich gehandhabt wird. Im Zen heißt das Jukai. Weder sofort noch langfristig wird bei uns irgendwer gedrängt, das zu machen. Manche Lehrer sind sogar ausdrücklich zurückhaltend, es zu gestatten, weil manche das nutzen, um sich  – das hat für sie und andere schädliche Folgen.
Das öffentliche Ritual ist eine Bestärkung und Selbstverpflichtung. Aber man kann sein Leben lang ohne Jukai in der Zendo sitzen.

Jeder für sich kann die Formel der Zufluchtnahme sprechen, wann immer er dies wünscht.  Es ist kein Glaubensbekenntnis und kein Sakrament, sondern meint genau das, was es besagt: Ich nehme Zuflucht zu Buddha. Ich nehme Zuflucht zum Dharma (der Lehre). Ich nehme Zuflucht zum Sangha (der Gemeinschaft der Praktizierenden). Man kann es jeden Tag tun, weil es die Haltung ausdrückt, die einem hilft, bei der Übung dabei zu bleiben.

Es kann allerdings, wenn es ernsthafter wird, sehr hilfreich sein, das bewusst mit einem Ritual zu markieren.

Generell wird nirgendwo jemand ferngehalten, der den Dharma, die buddhistischen Lehre, hören und lernen möchte. Buddhismus kennt keine Missionierung. Es gehört allerdings ausdrücklich zu den Aufgaben eines Buddhisten, jemandem, der darum bittet, Auskunft zu geben. Die Wohltat des Dharma dem vorzuenthalten, der danach sucht, würde schließlich wenig von Mitgefühl zeugen.

Wenn man eine Zengruppe besuchen möchte, schaut man am besten auf deren jeweilige Website. Da steht gewöhnlich drauf, wie es jeweils gehandhabt wird. Das unterscheidet sich nach den Gegebenheiten vor Ort und den Vorgaben des Lehrers. Manchmal gibt es spezielle Einführungsabende für Leute, die das erste Mal kommen und noch keine Vorerfahrung mit Zazen haben. Manchmal muss man nur vorher anrufen und etwas früher kommen, damit einem jemand alles nötige zeigt.
Der erste Abend ist eigentlich immer kostenlos. Will man regelmäßig teilnehmen, ist je nach Zendo unterschiedlich, wie man sich an den Kosten beteiligt.


Was sind die wichtigsten Feste im Jahreskreis in einer Umgebung mit vielen Buddhisten? Wir hatten ja schon über Advent gesprochen. Haben Buddhisten vielleicht auch so ein Fest „in Etappen“, an dessen Ende irgendwas Tolles steht?

Ich habe keine Umgebung mit vielen Buddhisten. 😀

Und keine solchen Feste. Das ist aber nicht typisch für „den Buddhismus“. In buddhistischen Ländern und den von dort stammenden Traditionslinien gibt es natürlich auch im Jahreskreis organisierte Festzyklen.
Über „die Buddhisten“ ist schwierig zu reden, weil die Gepflogenheiten zwischen Tibet, Japan und Deutschland sich stark unterscheiden. Selbst die Feste, für die es im japanischen Zen eine Tradition gibt, feiern wir in Deutschland in der Regel nicht, zumindest ich nicht und nicht die Leute, über die ich Zen kennengelernt habe.

Beim Vesakh-Fest wird im Frühjahr Buddhas Geburt, Erleuchtung und Tod gefeiert. Jedoch hat es nicht denselben Charakter wie Feste bei Christen. Es hat sich in vielen Großstädten in Deutschland als ein Tag etabliert, wo verschiedene buddhistische Gruppen sich der interessierten Öffentlichkeit präsentieren. Mit Info-Ständen, Vorträgen und Übungen, Kultur auf der Bühne.

Es kann einen anspornen. Anlass sein, dass Menschen zusammenkommen. Aber da ist kein erhabener Zielpunkt, auf den man in Erwartung hinlebt. Die ganze Idee der Heilsgeschichte existiert nicht.
Es gibt kein bereits vor Jahrtausenden geschehenes Heilsereignis zu feiern, wie Christen an Ostern oder Weihnachten. Jesus ist geboren. Jesus ist auferstanden. Deshalb lebe ich in einer Heilszeit und habe per Taufe, Eucharistie etc. daran teil. So was kann es buddhistisch nicht geben.

Es braucht keine heiligen Rituale zur Vergegenwärtigung vergangener Ereignisse. Wir machen das etwas anders. Jeder „Erleuchtete“ aus der Geschichte kann präsent werden, indem wir im Geist in ihn hinein schlüpfen und seine Rolle annehmen. Wer man als Person ist, ist ohnehin unwichtig. Wichtiger ist, wie man mit Gedanken und Empfindungen umgeht und wie frei man daher im Handeln ist.

Letztendlich ist für jemanden, der oft und regelmäßig Zazen übt, alles „Heilsereignis“. Das ganz normale Leben.

Der Fest-Buddha

Nächste Woche geht’s weiter! Frida fragt mich dann, was ein Sesshin ist.

Teil 1: Der Buddha im Advent
Teil 2: „Wie kamst du zur Zen-Meditation?“